von TSS PLATFORM
Vom 27. bis 29. Oktober 2023 nahmen rund zweihundert Personen aus über 20 Ländern – die meisten davon aus Europa, aber auch von außerhalb der EU – am 10. TSS-Treffen, „Breaking the Barrier“ in Bologna, teil. Das Treffen folgte einem Weg, der nach der Pandemie mit dem Treffen in Sofia begann und über das Treffen in Frankfurt führte. Das Treffen in Bologna war das dritte TSS-Treffen in weniger als einem Jahr, was ein wachsendes Engagement innerhalb der TSS-Plattform und das Anerkennen der grundlegenden Herausforderung von transnationaler Organisierung zeigt. Bei jedem Treffen kamen neue Personen zum TSS dazu, eine immer größer werdende Zahl von ihnen verfolgt ihn von Treffen zu Treffen und zeichnet dabei die Konturen eines kollektiven Prozesses. Drei Tage lang haben wir gemeinsam über die Möglichkeiten und Herausforderungen der transnationalen Organisierung unserer Kämpfe gegen Kriegspolitik, Patriarchat, institutionellen Rassismus und Arbeitsausbeutung diskutiert. Wir erkannten die Schwierigkeiten, Kämpfe aus so vielen verschiedenen Kontexten zusammenzuhalten, aber wir erkannten auch die Möglichkeiten der transnationalen Organisierung, um diesen Prozess zu verwirklichen und fortzusetzen. Dieser Text fasst die wichtigsten Ziele und die nächsten Schritte für die TSS-Plattform nach dem Bologna-Treffen zusammen.
Wir haben das Treffen in Bologna mit der Aussage eröffnet, dass wir die “Barriere” der nationalen Politik durchbrechen wollen. Die Barrieren, die Kämpfe, Kontexte, Bedingungen und Formen der Organisierung voneinander trennen. Die Barrieren, die es heute schwierig machen, sich einen radikalen Wandel überhaupt vorzustellen. Die TSS-Plattform ist der Raum, in dem wir nach Antworten suchen und neue Formen der Kommunikation und Initiative auf transnationaler Ebene erproben. In unseren lokalen Realitäten organisieren wir uns und kämpfen wir. Wir sind uns jedoch bewusst, dass unsere Stärke abnimmt und unsere Forderungen selten mit tatsächlichen Erfolgen einhergehen. Wir haben unterschiedliche Kampferfahrungen und eine unterschiedliche Geschichte, aber wir sind entschlossen, die Plattform als den Raum zu entwickeln, in dem wir nach Mitteln zur Überwindung von Fragmentierung und Hierarchien suchen können.
Der Auftrag, die TSS-Plattform zu erweitern, ist gewachsen, seit wir die Pandemie und die Ausbreitung der Kriegspolitik erlebt haben, zusammen mit einem allgemeinen Rechtsruck im globalen politischen Spektrum und einem wachsenden Nationalismus. Wir brauchen eine globale Überarbeitung unserer Werkzeuge und Mittel, damit wir nicht gelähmt und hilflos sind, wenn es zu größeren Störungen und Unterbrechungen des Alltags kommt oder große Unruhen ausbrechen. Wir müssen uns nicht nur darauf vorbereiten, auf unerwartete Ereignisse zu reagieren, sondern auch in Massenbewegungen und Mobilisierungen zu intervenieren, die weit über organisierte Strukturen, Gewerkschaften und Kollektive hinausgehen. Wir wollen gemeinsam neue, zeitgemäße Interventionsstrategien erarbeiten.
Die politische Situation, in der wir agieren, ist von transnationalen Prozessen geprägt (Klimakrise, Veränderungen der Arbeitsbeziehungen und -rechte, Kriegspolitik, patriarchale Angriffe und Angriffe auf die sexuelle Freiheit, Regulierung der Bewegungsfreiheit von Migrant*innen): Die Streikfähigkeit wird durch transnationale Prozesse behindert, und unsere Aufgabe besteht darin, sie auf derselben transnationalen Ebene neu zu erfinden. Dies erfordert, dass wir uns mit Genoss*innen im Ausland, innerhalb der EU, aber auch weit über ihre Grenzen hinaus, zusammenschließen und dass wir über unsere politischen Strukturen hinaus denken, um unsere Forderungen und Kämpfe neu zu formulieren.
Wir wissen, dass wir nicht bei Null anfangen und dass es laufende Kämpfe und Bewegungen gibt, die bereits weit über den lokalen und nationalen Rahmen hinausweisen. Darin erkennen wir, dass trotz aller Schwierigkeiten gerade etwas anderes passiert als das, was wir gewohnt sind: Bewegungen von Migrant*innen über die Grenzen hinweg; Formen der Arbeitsorganisation, die über den einen Arbeitsplatz hinausgehen; antipatriarchale Kämpfe von Frauen, Queers und Sorgearbeiter*innen über die transnationalen Sorgeketten hinweg; Formen der Kriegsverweigerung, die die nationalen Fronten überschreiten; Kämpfe gegen die Klimazerstörung, die die Kluft zwischen sozialen und ökologischen Forderungen überbrücken. Im Zentrum der TSS-Plattform steht das Ziel, Teil dieser transnationalen Bewegungen zu sein, sie zu fördern und unsere kollektive Fähigkeit zu entwickeln, die unorganisierten Formen der Verweigerung, die die Gesellschaften durchziehen, zu erkennen, zu verstehen und “einzufangen”.
Die TSS-Plattform hatte ihren Ausgangspunkt in den Experimenten der migrantischen, sozialen und metropolitanen Streiks in den Nachwehen der Finanzkrise. Ausgehend von früheren Erfahrungen mit Gegengipfeln und koordinierten Aktionstagen erkannten wir in diesen Streikexperimenten ein Novum, das einen neuen Anfang markierte und sich ausweitete. In den folgenden Jahren wurde der Streik in der Tat zu einem Schlagwort neuer sozialer Bewegungen, wie dem globalen feministischen Streik und dem Klimastreik, zusammen mit Streiks in Lagerhäusern in verschiedenen Ländern und Kontinenten und anderen weniger offensichtlichen Streikformen, wie Migrant*innenbewegungen und Formen der Ablehnung des Krieges und seiner Folgen. Wir haben in diesen Bewegungen ein deutliches Zeichen dafür erkannt, dass es für die Organisierung nicht ausreicht, einen Feind ausfindig zu machen, ein Datum zu wählen und Menschen auf die Straße zu mobilisieren. Das Problem der Organisierung geht weit über das Problem der Mobilisierung hinaus, und wir müssen in der Lage sein, in diesem Prozess auch unsere Identitäten und Methoden zu hinterfragen. Die TSS-Plattform ist ein Raum, in dem eine kollektive und offene Diskussion darüber stattfindet, wie man transnational agieren kann, in dem wir uns fragen, wie wir in bestehende Kämpfe eingreifen können, nicht zufällig, sondern um einen transnationalen Ansatz zu fördern, ein Raum, in dem wir Lesarten gestalten und versuchen, die nicht immer offensichtliche transnationale Relevanz laufender Kämpfe hervorzuheben. Diese Fragen müssen ständig gestellt werden und wir müssen jedes Mal vorläufige Antworten formulieren, mit offenen Augen für die Konflikte, Spannungen und Neuerungen, die unsere Realitäten erschüttern. Es gibt keine Abkürzungen und keine vorgefertigten Lösungen, wenn nicht diejenigen, die wir gemeinsam beim Aufbau unserer Plattform Stück für Stück finden.
Die TSS-Plattform arbeitet an verschiedenen Projekten, die versuchen, reale Bewegungen zu erreichen, die bereits in der transnationalen Dimension tätig sind. Es handelt sich um Projekte, die sich direkt mit Streiks vor Ort befassen und die politische Kommunikation über Grenzen hinweg fördern. Sie sind auch Orte, an denen neue Organisationsformen erprobt werden, die der Plattform eine praktische Form geben. Diese Projekte spiegeln politische Terrains wider, die der TSS als entscheidende Kampffelder für die Gegenwart und die nächste Zukunft ansieht:
“Transnational Migrant Coordination” (TMC): Die Gründung der Transnational Migrant Coordination (TMC) geht auf die migrantischen Kämpfe gegen institutionellen Rassismus zurück, die im Frühjahr 2020 in Frankreich und Italien stattfanden. Die an der TMC beteiligten Migrant*innen und Kollektive erkannten schnell die Notwendigkeit einer transnationalen Koordination, um rassistische und gewalttätige Grenzregime und Migrationspolitiken in Europa und darüber hinaus wirksam zu bekämpfen. Die TMC vereinigt nun Migrant*innen und Gruppen aus zahlreichen Ländern wie Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Belgien, der Türkei, Marokko und Griechenland. Sie eint die Forderung nach einer europaweiten, bedingungslosen und unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.
“Essential Autonomous Struggles Transnational” (E.A.S.T.) ist ein Kollektiv, das hauptsächlich aus Frauen, Migrant*innen, Arbeiter*innen und Aktivist*innen besteht. Dieses Netzwerk ist aus der Krise der sozialen Reproduktion entstanden, die durch die Covid-19-Pandemiekrise verschärft wurde. Der Schwerpunkt von E.A.S.T. liegt, wie der Name schon sagt, vor allem in Ost- und Mitteleuropa. Es betrachtet diese Region jedoch als ein Segment einer breiteren, transnationalen Arena des Aktivismus. Ziel des Netzwerks ist es, neue Bewegungen und Streiks zur Bekämpfung von Ausbeutung, geschlechtsspezifischer Gewalt und systemischem Rassismus anzustoßen. Dies soll durch die Verknüpfung aktueller Bewegungen und die Schaffung eines einheitlichen Organisationsraums erreicht werden, der die Beschränkungen und die Fragmentierung einzelner sozialer und gewerkschaftlicher Initiativen auf lokaler und nationaler Ebene überwindet.
Der “Climate Class Conflict” (CCC) soll Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen und Klimaaktivist*innen zusammenbringen. Ziel ist es, Diskussionen über die Bewältigung der vielfältigen Auswirkungen des ökologischen Wandels und der Energiewende zu erleichtern. Dieser Initiative liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine Bewegung, die sowohl Klima- als auch Klassenfragen auf transnationaler Ebene umfasst, unerlässlich ist, um die Klimakrise zu bewältigen, ohne durch die Perspektive der drohenden Katastrophe blockiert zu werden. Diese Bewegung will die Akkumulation des grünen Kapitals in Frage stellen und für soziale Gerechtigkeit eintreten.
Die “Ständige Versammlung gegen den Krieg” (PAAW) ist ein Projekt von Aktivist*innen und Arbeiter*innen mit dem Ziel, eine kollektive Diskussion in Richtung einer transnationalen Bewegung zu entwickeln. Nach Putins Einmarsch in der Ukraine begannen wir mit monatlichen Treffen, um den Konflikt zu diskutieren. Unser Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung derjenigen, die sowohl in der Ukraine als auch in Russland ums Überleben kämpfen, der Menschen, die von den Auswirkungen des Krieges über die unmittelbare Region hinaus betroffen sind, derjenigen, die von den Wirtschaftssanktionen betroffen sind, der Geflüchteten, die vor diesem und anderen Kriegen auf der Suche nach einem besseren Leben fliehen, und der Arbeiter*innen, die sich gegen Ausbeutung und die Nutzung des Krieges als Vorwand für eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wehren. Wir stehen auch an der Seite von Frauen und queeren Communities in ihrem Kampf gegen patriarchale Unterdrückung. Wir haben den vergangenen 1. Mai zu einem Streiktag gegen den Krieg und für eine transnationale Friedenspolitik gemacht. Darüber hinaus haben wir ein politisches Manifest gegen den Krieg veröffentlicht, da wir der Meinung sind, dass er die Notwendigkeit eines transnationalen Ansatzes zur Verbesserung des Lebens und zur Bekämpfung der Gewalt, der Ausbeutung und der Umweltzerstörung, die in der heutigen Gesellschaft vorherrschen, deutlich macht. Das Wiederaufflammen des Krieges in Palästina und die ständige Aussicht auf die Eröffnung neuer Fronten machen die Entwicklung einer Diskussion, die die Fronten des Krieges jeden Tag durchbricht, noch dringlicher: Dafür ist die PAAW gemacht.
Die TSS-Plattform umfasst auch die TSS-Koordination. Die TSS-Koordination ist nicht als “Zentrum” zu verstehen, in dem Entscheidungen getroffen und dann “ausgeführt” werden, sondern als eine Struktur, die die wichtige Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass die einzelnen Bereiche nicht “spezialisiert” werden und dass eine echte Kommunikation auch über die oben genannten Kampffelder hinweg stattfindet. Die Teilnahme an der Koordination ist offen, erfordert aber Engagement und Verbindlichkeit.
Neben der Organisation von Treffen vor Ort versucht die TSS-Koordination, sich regelmäßig über die allgemeine politische Lage und neue Kämpfe auszutauschen, um neue Herausforderungen und Kämpfe zu erkennen, die ein transnationales Potenzial und Relevanz haben. Sie hat auf diese Weise gearbeitet, als der Krieg in der Ukraine begann oder während der Pandemie mit unseren Auseinandersetzungen rund um systemrelevante Arbeit und systemrelevante Streiks. Die Aufgabe der Koordinierung besteht darin, dafür zu sorgen, dass der TSS-Prozess “die Barriere durchbricht”, wie es das Motto des Bologna-Treffens war.
In Anbetracht der Impulse unserer Diskussion während der Bologna-Workshops und inspiriert von der Bereitschaft vieler Teilnehmenden, die eröffneten Diskussionsstränge weiterzuverfolgen, planen wir in den nächsten Monaten eine tiefere Auseinandersetzung mit “Essential Autonomous Struggles Transnational” (E.A.S.T.) und der “Transnational Migrant Coordination” (TMC). In diesem Zusammenhang planen wir zwei Treffen, eines zur sozialen Reproduktion und eines zu Migration, Nationalismus und Antimilitarismus. Wir werden neue Informationen veröffentlichen, sobald diese Treffen konkretisiert sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir uns durch die aktive Teilnahme und die lebhaften Diskussionen während des Bologna-Treffens ermutigt fühlen und gleichzeitig wissen, dass wir angesichts der Herausforderungen, denen wir uns jetzt und in den kommenden Jahren stellen müssen, klein und wenig sind. Wir wissen, dass die Frage der transnationalen Organisierung eine qualitative Frage ist, die nicht quantitativ gelöst werden kann, und dennoch sind wir uns bewusst, dass die Erweiterung des Spektrums der Kollektive, die sich im TSS engagieren, eine unabdingbare Voraussetzung für das Erreichen unserer Ziele ist. Deshalb sind wir immer auf der Suche nach weiteren Genoss*innen, Gruppen und Arbeiter*innen, die sich uns anschließen!
Um mit uns in Kontakt zu treten und/oder Texte für unsere Website einzureichen, kann man uns eine E-Mail schicken an: info@transnational-strike.info
Um Aktualisierungen und Informationen über Treffen, Veröffentlichungen und laufende Kämpfe zu erhalten, könnt ihr unseren Telegrammkanal und unsere Mailingliste abonnieren.
Die TSS-Koordinierungsgruppe ist für alle offen. Um an den Treffen teilzunehmen und aktiv zu den Initiativen der Plattform beizutragen, kontaktiert uns bitte über Facebook oder per E-Mail.