Austerität ist die neue Normalität in Europa. Die Geldpolitik der letzten Jahren hat neoliberale Arbeitsmarktreformen, die Privatisierung von öffentlichem Eigentum (Commons) und Einschnitte in den Sozialsystemen erzwungen. Zudem wurden zivile Rechte beschnitten. Wie die Erpressung Griechenlands gezeigt hat, nutzen europäische Regierungen und Finanzinstitutionen Schulden und technische Regularien als politische Werkzeuge, um Arbeiter*innen und ganze Bevölkerungen gegeneinander auszuspielen. Ein neues Mobilitätsregime erzeugt Hierarchien zwischen und innerhalb europäischen Regionen und versucht, die Bewegungen der Migrant*innen von innerhalb und außerhalb der EU einzuschränken. Die globalen Produktions- und „Care-Work“-Ketten, die kreuz und quer durch Europa verlaufen, nutzen die unterschiedlichen Lohnniveaus und Arbeitsgesetzgebungen zum Zwecke des Profits. Sie vertiefen den Graben zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen. Auslagerung und Subunternehmertum greift die Stärke und Kraft von Streikaktionen an.
Aktuell finden zahlreiche Kämpfe um Löhne, Wohnraum, Zugang zu den Sozialsystemen und um Bewegungsfreiheit in Europa statt. Sie wenden sich von verschiedenen Seiten aus gegen den aktuellen Angriff auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Angesichts der transnationalen europäischen Dimension dieses Angriffs wird offensichtlich, wie notwendig die Überwindung ihrer Isolation und wie wichtig es ist, gemeinsame Prioritäten zu finden. In der Krise haben sich Formen von gegenseitiger Unterstützung und lokaler Selbstorganisierung entwickelt. Sie stoßen auf die Probleme des größer Werdens und die Unfähigkeit, mit anderen Kämpfen um Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen zu kommunizieren. Die kapitalistische Aufteilung zwischen fest angestellten, befristeten und arbeitslosen Lohnabhängigen, zwischen Migrant*innen und Inländer*innen, zwischen formellen und informellen Sektoren, erschwert die Organisierung erfolgreicher Kämpfe innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes und in der ganzen Gesellschaft. Die Gewerkschaften, Organisationen und Bewegungen konzentrieren ihre Aktivitäten auf den nationalen Kontext. Die transnationale Dimension des europäischen Regierens von Mobilität und Arbeit erfordert es aber, eine Kraft zu schaffen, die nationale Beschränkungen überkommt.
Vor dieser Situation stehend, wollen wir den Prozess in Richtung eines transnationalen sozialen Streiks aufbauen, um Verbindungen, Organisierung und transnationale Kommunikation zu schaffen und das gemeinsame Band zwischen sozialen Kämpfen und Arbeitskämpfen zu stärken. Der transnationale soziale Streik geht von den Grenzen der sozialen Kämpfe, der Arbeitskämpfe und der gewerkschaftlichen Organisationsform in ihrer traditionellen Formen aus. Er nimmt den Machtverlust, den der Streik – selbst als Generalstreik – aufgrund der Prekarisierung und der transnationalen Dimension der Produktion erfahren hat, als Ausgangspunkt. Streik ist die Bezeichnung einer Praxis und eines Organisierungsprozesses. Er bringt die Notwendigkeit mit sich, die Arbeit (in all ihren aktuellen Formen) zurück auf die Agenda der sozialen Bewegungen zu setzen. Zur gleichen Zeit stellt sich die Frage, wie der transnationale Streik zu einem Organisationsprozess gemacht werden kann, der es ermöglicht, den bestehenden Unruhegrad auszuweiten und neue und mächtigere Kämpfe zu produzieren, innerhalb und außerhalb der Arbeitsplätze.
Nach der Versammlung, die wir in Frankfurt am 19. März 2015 gehalten haben, wollen wir einen Schritt weiter gehen und uns in Poznan, Polen, vom 2. bis 4. Oktober 2015 treffen. Wir treffen uns in Poznan, um die Beteiligung aus den osteuropäischen Ländern zu erhöhen, denn diese stehen im Mittelpunkt des heutigen Ausbeutungsregimes. Ziel ist es auch, den Austausch zwischen Arbeits- und sozialen Kämpfen zu vertiefen, über bestehende Grenzen und Regionen hinweg.
In Panels, Versammlungen und Workshops wollen wir den Fokus auf einzelne Situationen richten, Erfahrungen und Taktiken austauschen und uns der Frage zuwenden, wie eine politische Perspektive aussehen kann, die zum Bezugspunkt für bestehende, wie auch für neue Kämpfe werden kann. Einige Schwerpunkte unserer Diskussionen werden sein: Wie organisieren wir Widerstand und Forderungen angesichts einer transnationalen Organisation der Produktion? Wie teilen wir das Wissen über die verschiedenen Bedingungen? Wie streiken wir dort, wo die Grenzen zwischen Innerhalb und Außerhalb des Arbeitsplatzes verschwimmen? Können die grundlegenden Forderungen nach einem europäischen Mindestlohn, Grundeinkommen, Wohlfahrt und einer Mindestaufenthaltserlaubnis für Migrant*innen als Werkzeuge für eine transnationale Organisation und für eine Verbindung zwischen bereits existierenden Kämpfen in verschiedenen Städten und Ländern Europas und darüber hinaus dienen? Wie organisieren wir uns kollektiv gegen die Fragmentierung und Individualisierung der Arbeit? Wie schaffen wir Verbindungen zwischen fest und befristet Angestellten? Wie die sozialen Bedingungen der Ausbeutung angreifen? Alle, die an einem solchen Prozess mitarbeiten und zu seiner Organisierung beitragen möchten, sind herzlich eingeladen, an dem Treffen teilzunehmen.
ÜBERBLICK ÜBER DAS PROGRAMM:
Freitag der 2. (abends):
Einführung in das Treffen
Runder Tisch: Herausforderungen und Möglichkeiten eines transnationalen sozialen Streiks.
Samstag der 3.:
Plenum und Einführung in die Workshops
zwei Runden Workshops (jede 3 Stunden)
Sonntag der 4. (Ende um Mittag):
Berichte der Workshops und allgemeine Versammlung
WORKSHOP:
Wir laden alle dazu ein, einen Workshop vorzuschlagen und zu organisieren. Wir schlagen vor, dass jeder Workshop durch wenigstens drei Gruppen mit vorbereitet /organisiert werden sollte. Jeder Workshop sollte durch eine kurze Zusammenfassung vorgestellt werden. Wenn du einen Workshop organisieren willst, sende bitte eine Email an:
info.transnationalstrike@autistici.org.
Die Deadline für Vorschläge ist der 7. September 2015.
Im Rahmen des Inhalts dieses Aufrufs sollten die vorgeschlagenen Workshops einige allgemeine Punkte und Kernanliegen berücksichtigen. Die Workshops sollten diskutieren, wie die transnationalen Produktions- und Versorgungsketten – und ihre Verstrickung mit Finanzoperationen – die Produktion transformiert haben und wie Arbeitskämpfe und Streiks neu gedacht werden müssen. Im Zentrum steht die Frage, was es heute bedeutet, sich innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes zu organisieren. Wir betrachten es daher als fundamental, dass wir die Rolle der migrantischen Arbeit und Mobilität, das Problem der Prekarität und Arbeitslosigkeit und die Transformationen des Sozialsystems als Teil der transnationalen Organisation der Arbeit ansprechen. Zu guter Letzt denken wir, dass ein wichtiges Ziel des Treffens darin besteht, mögliche gemeinsame Forderungen auszuarbeiten. Wir verstehen solche Forderungen als Werkzeuge, um transnationale Kommunikation zu organisieren und zu fördern, während Ausbeutung und Diktat Spaltungen und Hierarchien produzieren.
Wenn du interessiert bist, an dem Treffen teilzunehmen und uns dabei helfen möchtest, die Logistik für die Unterbringung sowie für Mahlzeiten und andere Bedürfnisse zu planen, sende bitte eine Email an info.transnationalstrike@autistici.com bis spätestens den 20. September 2015.
Die Veranstaltung wird auf Englisch sein, aber wir wollen versuchen, Übersetzungen in andere Sprachen bereit zu halten. Lasst uns bitte vorher wissen, welche Sprachen ihr benötigt oder wenn ihr bereit wärt, bei der Übersetzung während der Veranstaltung zu helfen.